Autonomes Fahren und die schönen Aussichten

Nun ist es raus: Autonomes Fahren wird kommen! Allerdings hat die Sache einen Haken: Das Wetter muss stimmen und zu dunkel darf es auch nicht sein. So stand es in der ZEIT vom 3. Januar 2019*.

Endlich! Es ist so weit. Ab diesem Jahr (2019) werden in Kalifornien und Arizona zum ersten Mal Autos selbstständig und ohne Sicherheitsfahrer durch die Gegend juckeln. Zunächst allerdings nur mit niedrigem Tempo und begrenzt auf die Nebenstraßen ruhiger Vororte. Ein weiteres Manko: Auch wenn es zu dunkel wird, ist Schluss mit dem Vergnügen. Vom Wetter soll hier gar nicht weiter gesprochen werden. Ist es schlecht, dann übernimmt natürlich der Mensch das Steuer und das Auto-Auto, also das selbstfahrende Gefährt, schaut in die Röhre. Anders ausgedrückt: Bisher scheint das Fahrzeug der Zukunft eher ein Schönwetterauto zu sein.

Man kommt an der Tatsache nicht vorbei, beim autonomen Fahren wie auch schon bei vielen anderen Innovationen zuvor: Anfangs flutscht alles nur so. Man macht innerhalb kurzer Zeit große Entwicklungssprünge, meint, die größten Hürden übersprungen zu haben, aber auf einmal gerät das Ganze, beinahe unerwartet, ein wenig ins Stocken. Es ergeben sich immer wieder kleine Probleme, die zu allem Unbill weitere kleine Probleme generieren und sich zu großen Hindernissen entwickeln können. Es beginnt mit einer kleinen Hürde, etwas später wird die Hürde zum kleinen Hindernisparcours und eh man sich versieht, ist auf einmal kein Ende abzusehen.

Wen wundert es da, dass die Autoproduzenten offenkundig ihre Strategie geändert haben? Plante man anfangs noch das autonome Fahren nach und nach in die Modellentwicklung sukzessive einzuführen, tendiert man nun eher dazu, diese Technik in Zukunft erst einmal als Dienstleistung anzubieten, in Form mietbarer Fahrdienste.

Die Gründe für diesen Strategiewechsel sind nachvollziehbar. Auf der einen Seite traut man den Besitzern der Autos einfach nicht zu, selbst zu entscheiden, welche Wetterverhältnisse zum autonomen Fahren taugen. Auf der anderen Seite sind selbstfahrende Autos sehr teuer und müssen wegen ihrer vielen Sensoren und hochwertigen Software umfangreich gewartet werden. Und wer möchte schon solche Kosten auf sich nehmen, wenn es sich nur um ein Schönwettersystem handelt? Darüber hinaus vereinfacht das Fahrdienstsystem das zentrale Sammeln von Daten ungemein. Ohne dass er es merkt, fungiert der (zahlende) Kunde als Versuchskaninchen und wird gleichzeitig, datentechnisch gesehen, hinterrücks ausgepresst wie eine Zitrone.

Es verwundert also nicht, dass auch im jetzigen Freilandversuch der Google-Tochter Waymo in Kalifornien und Arizona auf ein Fahrdienstmodell zurückgegriffen wird. Die Kunden fordern bei diesem Projekt das selbstfahrende Auto über eine App an und Waymo entscheidet dann je nach den Umständen, ob das autonome Fahren mit oder ohne Chauffeur stattfindet.

Darüber hinaus dürfen die Wagen bei diesem Pilotprojekt nur dort autonom eingesetzt werden, wo gewährleistet ist, dass ein Funkkontakt zu Waymo besteht. Im Notfall soll das Fahrzeug nämlich ferngesteuert abgebremst und an den Straßenrand abgestellt werden können. Von einem Menschen. Das funktioniert natürlich nur mit modernster Überwachungstechnik. Ganz unbeobachtet ist man im Auto der Zukunft also nicht.

Auf Deutschland übertragen, fragt man sich, mal ganz abgesehen vom Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre, was wohl im Hinblick auf die Entwicklung selbstständiger Fahrsysteme wahrscheinlicher ist: dass es in Deutschland wegen des Klimawandels nur noch schönes Wetter gibt oder dass in Deutschland Funklöcher demnächst der Vergangenheit angehören?

Wie dem auch sei. Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten der Auto-Autos zeichnen die Promoter der selbstfahrenden Fahrzeuge natürlich die Zukunft in den schönsten Farben. So schwärmt Larry Burns, seines Zeichens Berater des Anbieters Waymo, von den vielfältigen Möglichkeiten der neuen selbstfahrenden Autoflotten (ZEIT vom 3. Januar 2019, S. 32)**. Er prophezeit eine völlig neue Zeit, in der das Auto-Auto zum unentbehrlichen Helfer bei den alltäglichen Verrichtungen werde.

Man schließe einfach einen Jahresvertrag mit einem Flottenanbieter ab, lasse sich danach vom gemieteten Fahrzeug je nach Bedarf hierhin und dorthin kutschieren, beispielsweise zur Arbeit, und müsse sich erfreulicherweise um keine Parkplätze mehr kümmern, nicht mehr tanken oder für eine Reparatur in die Werkstatt fahren, so Burns. Das alles macht der Wagen, so die Zukunftsvision, wahrscheinlich mit einem treuen Scheinwerferzwinkern, gleichsam alles von selbst.

„Ich kann es zum Beispiel auch losschicken, meine Frau abzuholen und zur Arbeit zu bringen. Oder sie schickt es los, um unseren Sohn zum Fußballtraining zu fahren“, verspricht Burns. Danach könne das Gefährt den Anzug aus der Reinigung holen und das Abendessen vom Restaurant abholen. Auf der Rückfahrt von der Arbeit steht das Essen dann schon auf dem Rücksitz. Und wenn man Glück hat, hat der Wagen vorher bereits die Wohnung aufgeräumt und mit seinem rechten Kotflügel den Tisch gedeckt, spinnt man die Geschichte weiter. So schön kann die Zukunft sein.

Aber es wird noch besser kommen, denn das Auto-Auto ist ja lernfähig. Mit jeder Fahrt, jedem Auftrag, den man diesem selbstständig fahrenden Laufburschen erteilt, weiß der autonome Wagen immer mehr über die Person, die er da chauffiert. Er sammelt diese Daten, leitet sie weiter an seinen Herren, den Fahrzeugproduzenten und Fahrdienstleister, und beide lernen so immer mehr über seinen jeweiligen Fahrgast. Nach einer gewissen Zeit wird wie von Zauberhand im Auto bei Werbeblöcken nur noch die für diese Person beste Werbung geschaltet. Und das Auto-Auto fährt, falls man es präferiert, automatisch nicht unbedingt den schnellsten, sondern den schönsten oder bevorzugtesten Weg.

Automatisch werden so immer mehr Daten von den mitfahrenden Gästen gesammelt. Immer mehr Daten, die der freundliche, aber leider auch sammelwütige Fahrdienstanbieter nicht nur sammelt, sondern auch analysiert, um beispielsweise zukünftiges Verhalten voraussagen zu können, Daten, die er natürlich auch zu seinem Glück gegebenenfalls gewinnbringend an andere Firmen verkaufen kann.

Zum Schluss weiß die fahrende KI aufgrund der angesammelten Daten vielleicht sehr viel besser als der Fahrgast selbst über dessen Bedürfnisse oder diejenigen der Familie Bescheid. Langes Nachdenken kann man sich dann ersparen. Man erteilt dem Wagen nur noch den Auftrag, etwas zum Abendessen zu holen und dessen wohltrainierte Algorithmen ordern via Internet selbstständig das richtige Essen zum Abend, das das intelligente Gefährt jetzt nur noch abholen muss.

Schöne neue, bequeme Welt: Kein langes Nachdenken, kein kritisches Nachfragen mehr, das kleine Tuck Tuck übernimmt das für einen und meldet währenddessen die gesammelten Daten gehorsamst an den Fahrdienstleister. Big Data lässt grüßen. Vielleicht geht es beim selbstfahrenden Fahrzeug in Zukunft ja gar nicht mehr primär darum, wie man jemanden am besten von A nach B fährt, sondern eher darum, wie man den Kunden am besten datentechnisch gewinnbringend abschöpfen kann. Waymo ist ja bekanntlich eine Google-Tochter. Schöne Aussichten.

* Dirk Assendorf: Autonom nur bei Sonne. in: DIE ZEIT No. 2 (3. Januar 2019) Ressort WISSEN, S. 31f.
** Der rollende Roboter, in: DIE ZEIT No. 2 (3. Januar 2019) Ressort WISSEN, S. 32